Sonntag, 23. Dezember 2012

Alamannische Gräber an der südlichen Kantstraße

In den Ortsakten der Bodendenkmalpflege liegen genauere Berichte über die Funde von 1912/13 vor, über die "die Feierstunde" berichtet hat (Vergl. apud giselingen 22.12.2012).
Demnach liegt die Fundstelle in der Uracher Straße 33. Bei den Funden von 1912 handelte es sich um Nord-Süd-orientierte Bestattungen, die aufgrund einer Armring-Beigabe der Frühlatènezeit (also etwa 4. Jh. v.Chr.) zugewiesen wurden.
Die Grabbergungen 1913 nahm Forstmeister Schultz im Mai vor. Er berichtete ausführlich an das königliche Landeskonservatorium, das damals von Peter Goessler, einem gebürtigen Geislinger geleitet wurde:
"Die Gräber befinden sich hinter (nördlich) dem Haus No. 33 der Ölwegstraße bei dessen Fundierung im Herbst vor. J. ebenfalls ein Grab aufgedeckt wurde. Das Haus No. 33 u. die Tuffsandgrube gehören dem Maurer Christian Kolb in Altenstadt. Ebene Lage. Der Untergrund setzt sich zusammen:
a auf der obersten dunklen Kulturschichte, ca. 60 cm stark, folgt b Tuffsandschichte ca. 95 tief, sodann war c graue, lockere Tonschichte ca. 50 cm, ganz unten wieder Tuffsand - d - abgebaut wird nur die Tuffschichte b.
In diese Tuffschichte sind die Reihengräber eingelassen und zwar ca. 80 cm tief, so daß unter den Gräbern die Tuffhöhe noch ca. 15 cm stark ist. Die Gräber markieren sich im Querschnitt durch graue Färbung des gelblichen Tuffsands, wohl infolge Vermischung des Tuffsands beim Wiedereinfüllen des Grabes. Die Entfernung von Grab zu Grab konnte ich nicht genau feststellen, da ich nicht mehr graben ließ; in Mittelhöhe der Gräber dürfte sie etwa 65/70 cm betragen. Untere Breite der Gräber scheinbar nur 45 cm, obere nur ca. 65-70 cm. Richtung der Gräber ziemlich genau W-O, Kopf der Skelette im W., also Gesicht gegen O. Angeschnitten wurden zwei Gräber, das eine Skelett bis zur Mitte der Oberschenkelknochen ausgegraben, vom anderen war der zertrümmerte Schädel freigelegt, sodann sofort wieder zugedeckt. Der Schädel des ausgegrabenen Skeletts ist zertrümmert, ein handgroßes Stück der Schädeldecke gut zu erkennen, ebenso der auffallend breite, sehr starke und hohe Unterkiefer gut erhalten, Zähne ausgefallen, Wirbel und Schlüsselbein und Oberschenkelknochen noch gut erhalten. Die Zähne sind z.Teil stark abgenützt, also Skelett eines älteren Mannes. Beigaben wurden bis jetzt nicht gefunden, die Knochen werden von Kolb aufbewahrt, welcher sich sofort bereit erklärt hat, die Gräberstelle nicht weiter anzugreifen u. 8- 10 Tage zu warten, bis er von mir weitere Nachricht erhalten hat." (Ortsakten LDA)
Nur eines der drei Gräber wurde so weit ausgegraben, dass Beigaben geborgen werden konnten. Aus Grab 1913/3, einer ost-west-orientierten Grabgrube, die möglicherweise einst einen Steineinbau hatte (angeblich fanden sich in der Verfüllung 'Tuffblöcke') wurden offenbar die typischen Ausstattungsstücke eines merowingerzeitlichen Männergrabes geborgen:
Gräberfeld Am Oelweg: Schildbuckel aus Grab 1913/3
(Landesmuseum Württemberg;
Zeichnung R. Schreg - aus Schreg 1999)

  • Schildbuckel, Eisen, flach gewölbter Haube, konischer Kragen, Krempe mit ehem. 6 Nieten (3 Abdrücke erh.), lag außen am linken Knie, Oberseite zum Skelett, 15 bis 20 cm höher als das Skelett und durch Tuffblöcke davon getrennt. - heute im Landesmuseum Württemberg, Inv. 672a.
  • Schildbeschläg, in 3 Teile zerbrochen, bei Schildbuckel. - nicht erhalten. 
  • Eisenteile, am rechten Oberschenkel. - nicht erhalten. 
  • Reste von Eisen mit Bronzenägel in der Gürtelgegend - offenbar die Reste einer Gürtelgarnitur. - nicht erhalten.
  • beinerner Kamm. - nicht erhalten.
  • Knochen von Mensch und Tier, ca 20 cm über Bestattung, die Zugehörigkeit zur Bestattung ist fraglich. - nicht erhalten.
Bronzene Zierscheibe aus einem Frauengrab
im Gräberfeld 'Am Oelweg', geborgen 1937
(Heimatmuseum Geislingen,
Foto R. Schreg 1994)
Viele Details müssen trotz des Berichtes von Schultz offen bleiben, so die Zugehörigkeit der nicht zum Skelett gehörenden Menschen- und Tierknochen, aber auch die Lage des Schildes im Grab. Für die Datierung des Grabes wäre die Gürtelgarnitur ausschlaggebend, die aber leider nicht erhalten ist. Auch der Grabbau ist unklar. Meist handelt es sich in der Merowingerzeit um einfache Grabgruben mit Holzkisten oder -särgen; bisweilen sind aber auch Steineinfassungen in der Grabgrube nachweisbar. 

Die Bestattungen an der südlichen Kantstraße sind nur einer von mehreren frühmittelalterlichen Bestattungsplätzen im Geislinger Talkessel. Große Gräberfelder lagen an der Überkinger Straße sowie in den Mühlwiesen (an der nördlichen Kantstraße). Kaum einzuschätzen sind weitere Bestattungsplätze am Stadtpark sowie möglichereise in Flur Röckenhofen nahe der Mündung der Eyb in die Fils.

In der Umgebung der Fundstelle von 1913 an der südlichen Kantstraße wurden später mehrfach weitere Gräber der Merowingerzeit geborgen. 1937 wurde in der Keplerstraße 13 ein Frauengrab ausgegraben, dessen Beigaben heute im Heimatmuseum zu sehen sind. Aus einigen Baugruben in der Umgebung liegen aber auch Negativbeobachtungen vor. Eine Untersuchung in der Keplerstraße 15 erbrachte zwar ein weiteres latènzeitliches Grab und eine Siedlungsgrube der Völkerwanderungszeit, aber keine weiteren Bestattungen der Merowingerzeit. Deshalb könnte es sein, dass wir es hier gar nicht mit einem großen, geschlossenen Gräberfeld wie an der nördlichen Kantstraße zu tun haben (Gräberfeld Mühlwiesen), sondern mit einzelnen Bestattungen, die innerhalb einer Siedlung bei den Höfen selbst lagen. Immerhin sind aus diesem Bereich mehrere Fundkomplexe mit Siedlungskeramik bekannt, die man allerdings geringfügig früher datieren muss. Zugleich lässt sich aber auch vermuten, dass hier viele archäologische Funde, aber auch Gräber zerstört wurden, ohne dass Funde oder Berichte dazu überliefert wurden.

Fundstellen des Frühmittelalters an der südlichen
Kantstraße - die eingekringelte 1 markiert die Fundstelle von 1913
(Verändert nach Schreg 1999)
Die archäologischen Beobachtungen an der südlichen Kantstraße zeigen, wie wichtig es ist, das Funde gemeldet werden. Im Lauf der zeit sammeln sich Informationen an, die es ermöglichen, wenigstens eine grobe Vorstellung von der Geschichte zu erhalten. 
Vielleicht bringen künftige Fundmeldungen eine Klärung. - Idealerweise word bei künftigen Baumaßnahmen die Archäologie aber schon so frühzeitig eingebunden, dass genauere Untersuchungen möglich sind.

Literaturhinweis:
Interner Link

Rainer Schreg

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